Eine Begegnung, die Slavas Leben verändert

Mit gesenktem Kopf verlässt Slava die Anmeldung des Sozialamts, den Blick nach unten gerichtet. Sie fühlt sich niedergeschlagen. Sie hatte gehofft, die Beamtin könnte ihr eine offene Stelle als Gärtnerin anbieten – am liebsten eine Ausbildung. Seit zwei Jahren ist sie hier und möchte endlich arbeiten. Doch immer werden ihr Steine in den Weg gelegt, oft ist es die Sprachbarriere. Bis zu diesem Tag. Im Wartezimmer wird sie von einer älteren Dame mit Hut angesprochen. Sie flüstert: „Können Sie kurz warten? Ich habe da vielleicht etwas für Sie.“ Die ältere Dame geht ins Büro zur Beamtin, sie hat wohl auch ein Anliegen. Slava wartet draußen, wo sie die frische Luft und die Natur genießen kann. Das trostlose Wartezimmer mit zehn abgenutzten Sitzplätzen, einer ungeliebten Zimmerpflanze und Broschüren, die selbst ohne Migrationshintergrund schwer zu lesen wären, lässt sie hinter sich.

Dann klingelt mein Handy. Ich stehe auf dem Friedhof und pflanze gerade Begonien. Schnell ziehe ich die Handschuhe aus und gehe ans Telefon. Oma ruft an. Hoffentlich nichts Schlimmes. „Martin? Ich sitze hier beim Sozialamt im Wartebereich, neben mir eine junge Frau, die Arbeit sucht.“ Ich überlege kurz. Wenn meine Oma mich deswegen anruft, wird es keine Schlaftablette sein wie all die anderen Bewerber. Sie wird pfiffig sein, einen schnellen Schritt haben, keine Hackenschuhe tragen, keine gegelten Fingernägel. Sie wird arbeiten wollen. Oma hat einen Blick für sowas. Mit ihren 84 Jahren hat sie selbst noch die Zeiten erlebt, in denen nichts geschenkt wurde. Sie hat den Beruf der Gärtnerin gelernt, war bei Wind und Wetter draußen. Eine Frau, die es nicht verstehen kann, dass einige Jugendliche nur auf ihre Handys starren, sich so schlecht benehmen, wie sie sich kleiden, und „keinen Bock“ haben. „Oma? Meinst du, sie ist Gärtnerin?“ „Nein, sie kommt aus der Ukraine, spricht Deutsch und möchte unbedingt arbeiten.“ „Das mit dem Arbeiten“, denke ich, „habe ich schon oft gehört.“ Aber wenn Oma das sagt… Ich schalte schnell und sage: „Klar, Freitag, 10 Uhr, bei uns im Büro. Wenn sie clever ist, findet sie die Adresse allein. Sie soll nach der Friedhofsgärtnerei Boese suchen.“

Freitag sitzen wir zusammen. Mir gegenüber sitzt eine 28-jährige Frau, die mit dem Fahrrad gekommen ist. Pünktlich, selbstbewusst, mit Akzent. Mein erster Gedanke: Sie hat Arme, die definitiv schon körperlich gearbeitet haben. Eins steht fest, diese Frau hat schon viel erlebt. Höhen und Tiefen. Das Schlimmste wohl der Krieg in der Ukraine, der ihre Familie und Heimat zerstört hat. „So kann man sich täuschen“, denke ich, als sie erzählt, dass sie in der Ukraine Kindergärtnerin war. Ich hatte sie eher in einem handwerklichen Beruf gesehen. Später war sie Bürokauffrau, dann etwas mit IT. Sie ist in einer Kleinstadt groß geworden, auf einem Grundstück mit Tieren und Pflanzen. Sie hasste es, im Büro zu sitzen – „Ich muss draußen arbeiten, in Natur!“, sagt sie entschlossen. Dann geht alles schnell: Probearbeit, Praktikum, dann Festanstellung. Zwei Monate später stellt sie die Frage: „Darf ich hier eine Ausbildung machen?“ Insgeheim hatte ich es gehofft, dass es so kommen würde. Tatsächlich suchten wir einen Lehrling – etwas älter als gedacht, aber mit viel Lebenserfahrung und guten Fähigkeiten. So wird Slava jetzt Friedhofsgärtnerin – und ist eine von nur zwei Auszubildenden in ganz Sachsen-Anhalt, die diesen tollen Beruf lernen.

Ein Link zu einen Interview im MDR finden Sie hier: https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-879178.html

 

Frau Altenburg und der Liebe zur Perfektion

Werther Herr Cziborra, so begannen oft Briefe von einer Kundin. Am Ende stand stets „hochachtungsvoll, Ihre Frau Altenburg.“ Ich habe mich oft mit ihr getroffen, solange sie noch lebte. Auf dem Friedhof, Feld 6, ging ich auf sie zu. Sobald sie mich sah, griff sie in ihre Haare und überprüfte, ob alles perfekt saß. Auch ihren Blazer oder Gehrock – alles wurde sorgfältig zurechtgezupft. Ich muss sagen, sie war eine sehr schicke ältere Dame. „Guten Morgen, Frau Altenburg.“ „Guten Morgen, Herr Cziborra“, sagte sie in einer vornehmen Art, wie nur sie es konnte. „Es ist schön, dass Sie sich Zeit nehmen.“ Ich nickte und dachte: Ja, sehr viel Zeit. 20 Minuten Vorgespräch am Telefon und 15 Minuten Terminfindung, inklusive der Wiederholung derselben Punkte. Da standen wir und sprachen alles durch. „Ja, Frau Altenburg, so machen wir das. Aber natürlich, Frau Altenburg.“ Mittlerweile wusste ich genau, wie das 30-minütige Gespräch endete. Ich würde die wichtigsten Punkte wiederholen und am Schluss noch ein „Bonbon“ servieren. Es war wichtig, dass das Grab ihres Mannes immer perfekt aussieht, da auch alle Friedhofsbesucher es bewundern würden. „Es soll das schönste Grab auf dem Friedhof sein.“ Sie bat zwar um gärtnerische Beratung, doch eigentlich musste alles exakt nach ihren Vorstellungen sein. Eine Sache hatte sie jedoch über mich gelernt: dass ich immer eine Idee hatte, wie man sich von den anderen abheben konnte – sei es ein besonderes Dekoelement, eine exklusive Pflanze oder eine besondere Verarbeitung von Tannenzweigen am Totensonntag. Eben das „Bonbon.“ Verabschiedet hat sie mich stets mit einem skeptischen Blick, der in mir das Gefühl weckte: Das darf ich nicht vermasseln. Ein paar Tage später kam der Anruf im Büro: förmlich, streng, die Tränen unterdrückend, mit der dringenden Bitte, sich umgehend mit Herrn Cziborra treffen zu müssen. Jessi aus dem Büro fragte am Telefon: „Aber, Frau Altenburg, hat es Ihnen denn gefallen?“ „Ja, es ist wunderschön. Herr Cziborra hat sich wieder selbst…“ – dann ein Schluchzen, und sie legte auf. Es gab immer ein Präsent für die Mitarbeiter, meine Familie und für mich. Und ein 20 minütiges Gespräch am Grab. Ich dachte mir immer: Ach, wenn es sie glücklich macht. Neun Jahre lang ging das so. Im letzten Jahr bekam Sie eine Diagnose vom Arzt, die sie veranlasste, einen Vorsorgevertrag mit uns zu planen. Bis ins kleinste Detail war alles für ihren Mann und nach ihrem Tod für die gemeinsame Grabstelle geregelt. Doch leider war die Krankheit schneller. Ein trauriger Anruf kam von ihrer Tochter. Jessi saß mir gegenüber und nahm den Anruf entgegen. Ich sah Tränen in ihren Augen, während sie „Altenburg“ auf einen Zettel schrieb und einen Stern daneben malte. „Wir brauchen nichts mehr an der Grabstelle machen“, war die Aussage. Traurig war, dass Frau Altenburg genaue Vorstellungen hatte, die nun nicht mehr umgesetzt werden würden. Sie war zwar eine anstrengende, aber dennoch liebevolle Frau. Oft gehe ich an ihrer Grabstelle vorbei und denke: Das hätte ihr nicht gefallen. Es steht mir nicht zu, über die Familie zu urteilen. Ich kenne nur meine Seite der Geschichte. Manchmal, wenn keiner hinschaut, puste ich das Laub von ihrer Grabstelle. Sie hat es gehasst, wenn Blätter darauf lagen. Was ich euch Lesern mitgeben möchte: Bringt eure Dinge zu Ende. Frau Altenburg hatte klare Vorstellungen, die sie nicht mehr umsetzen konnte. Lasst euch nicht von Unwichtigem ablenken, wenn es um Herzensangelegenheiten geht.

Erster Ausbildungstag

August 2000. Gestern hat mich meine Mutti nach Hannover gefahren und mit mir meine möblierte Wohnung eingeräumt. Ganze 18 Quadratmeter waren jetzt meine neue, fremde Welt. Da stehe ich nun in grüner Latzhose vor dem Spiegel und mache mich fertig. Zum Glück muss ich mich mit 16 Jahren noch nicht rasieren, denn sonst würde ich zu spät kommen, denke ich, während ich auf meine Uhr gucke. Schon 7:00 Uhr. Oh nein, ich muss los. Stulle, Wasser, Apfel in die Tasche und ab in den Keller. Was ich dort sehe, treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Gestern war noch alles in Ordnung. Ausgerechnet am ersten Tag meiner Ausbildung werde ich zu spät kommen. Ein toller Start für den Jungen aus dem Osten. Nein, eine Lösung muss her. Mit einem Platten Reifen ist es unmöglich, in 20 Minuten 3 Kilometer zu fahren oder zu laufen. Die Luftpumpe vom Nachbarfahrrad kannste auch vergessen. Der Reifen macht keine Anstalten, irgendwie fest zu werden. Joggen? Nee, dann bin ich durchgeschwitzt. Während ich überlege, schaue ich auf das Damenfahrrad der alten Vermieterin. Ist das Diebstahl? Besonders nett wirkte die alte Frau nicht bei der Schlüsselübergabe. Egal, ich habe die Wahl: verärgerte alte Frau oder der Chef mit allen Mitarbeitern, die am ersten Tag alle mit dem Kopf schütteln, während ich durch die Tür komme. Tasche auf, Stift, Zettel auf den Ledersattel und schreibe: Liebe Frau Hansen, ich habe mir Ihr Fahrrad ausgeliehen. Es war ein Notfall. Ich wollte Sie nicht früh wecken. Entschuldigung, Martin (der neue Mieter).

Quitschend komme ich abgehetzt, aber pünktlich an. Alle Blicke richten sich auf mich. “Guten Morgen, ich bin der Lehrling.” Zum Feierabend kaufe ich noch für 5 Mark einen Strauß im Blumenladen. Ich klingle gegen 17 Uhr bei der alten Frau und entschuldige mich, dass ich ihr Fahrrad genommen habe. Sie guckt noch böser als gestern. Dann gebe ich ihr den Blumenstrauß. Sie lacht. Heute, 24 Jahre später, bilde ich mit meinem Team 2 Lehrlinge aus. Wer weiß, was in den Köpfen von Slava und Sophie gerade vorgeht. Ich kann euch nur sagen, es wird immer Probleme geben. Es wird unangenehm und schwierig, es wird kalt und heiß, es wird nervig und manchmal werdet ihr denken: Was mache ich hier überhaupt? Ihr lernt einen Beruf, der euch das ganze Leben prägt. Der euch Sicherheit gibt, der euch selbstbewusst macht, weil ihr die Profis mit dem grünen Daumen seid. Ihr werdet Menschen kennenlernen, die ihr hasst, die ihr liebt, und Menschen, die ihr als Vorbild nehmt. Ihr werdet Freundschaften finden, die vielleicht sogar ein Leben lang halten. Es liegen 3 Jahre vor euch, voller Herausforderungen, die ihr meistern werdet. Da bin ich mir sicher. Herzlich willkommen in unserem Team. Wir sind mit Sicherheit genauso aufgeregt wie ihr!

Der Alte Mann

Es ist ein angenehm warmer Frühlingsmorgen auf dem Biederitzer Friedhof. Ich bepflanze eine Grabstätte. Um mich herum höre ich Vogelgezwitscher und Bienengesumme. Zu dieser Jahreszeit sind auf diesem Friedhof die Erdbienen sehr aktiv. Ich bin nicht lange alleine. Ein alter, klappriger Mann geht mit seiner zu kurzen Harke den Weg entlang. Er sieht seltsam aus. Vornüber gebückt, dürr, mit einer viel zu großen Hose. Er kommt näher. Ungepflegt, 90 Jahre alte Haut mit wachen Augen grüßen mich wortlos. Als er an mir vorbeigeht, fallen mir seine schwarzen Socken auf, die über die Hose gezogen sind. Wie das aussieht. Wirklich seltsam. Ich nehme mir eine Kiste Stiefmütterchen. 12 gelbe, 12 blaue und in der Mitte noch ein Vergissmeinnicht. Gepflanzt sieht es toll aus. Ich schaue hoch zu dem Alten. Gebückt harkt er den Weg und brummelt irgendetwas vor sich hin.

„Der muss verrückt sein,“ denke ich. Selbstsicher pflanze ich weiter, als etwas passiert, was dem Alten nicht passiert wäre. Panik überkommt mich, als eine oder mehrere Erdbienen an meinem Schuh vorbeifliegen und von unten in meine Latzhose gelangen. Es brummt gewaltig. Ich schüttle mein rechtes Bein, aber keine der Bienen fliegt heraus. In Rekordzeit ziehe ich meine Latzhose aus. Zum Glück wurde ich nicht gestochen, denke ich erleichtert, als ich mitten auf dem Friedhof in meinen Boxershorts wie ein Idiot dastehe.  Der alte Mann mit seinen über die Hose gezogenen Socken schaut mich an und nickt. Ich glaube, er grinst sogar.

Frau Rottenmeier😡

Ich sitze auf einer feuchten, morschen Bank im Feld 11 auf dem Neustädter Friedhof. In wenigen Minuten treffe ich Frau Rottenmeier. Sie ist jetzt schon 5 Minuten überfällig. Eigentlich müsste sie schon da sein. Sie ist, wie man sagt, eine schwierige Kundin. Etliche Telefonate haben uns jetzt auf diese Bank gebracht. Mit strengem Schritt sehe ich sie auf mich zukommen. Ich stehe auf, sage höflich: „Guten Tag, Frau Rottenmeier.“ Ihre Hand ist kalt, ihr „Guten Tag“ auch. Etwas säuerlich denke ich. So ein Ton, als ob ich zu spät bin. Egal.

„Die Bank müsste auch mal erneuert werden.“

„Ja, Frau Rottenmeier, so etwas machen die Friedhofsmitarbeiter im Winter.“

„Der Winter ist noch weit entfernt!“

Wir sprechen über ihre Grabstelle und finden eine Lösung, die uns beide zufriedenstellt. Anschließend erzählt sie mir von ihren lauten Nachbarn und von einer unfreundlichen Verkäuferin beim Bäcker. Ich bin verständnisvoll und nicke regelmäßig, während ich verträumt eine süße Weinbergschnecke am Boden betrachte. So ein schönes Muster, denke ich.

Weitere Minuten vergehen. Jetzt sind die Ausländer dran. Ich denke mir: „Wie kann man nur so sein?“

Sie ist scheinbar alles losgeworden und möchte nun gehen. Ich verabschiede mich freundlich mit einem Händedruck. Kalt. Es macht Knack. Ich schaue nach unten… Oh nein! Frau Rottenmeier: „Was ist das denn schon wieder Ekliges?“

Ich gehe und hoffe, es gibt dieses Karma.

Es geht immer weiter

Ich sitze vor meinem Team, links die tollen alten Gärtner und Gärtnerinnen, rechts die Neuen und in der Mitte Franzi, meine Sekretärin, die mir so viel im Büro ab nimmt. Gemeinsam planen wir die Woche. „Friedhof geklärt? Büro geklärt? frage ich.“ Dann los, packen wir es an. Franzi fragt noch: „Martin, kann ich dich nochmal alleine sprechen?“ Es ist normal, dass wir zusammen Dinge besprechen. Doch die paar Worte lassen mein Herz kurz holpern. Klar, ich komme gleich ins Büro. Mit Turnschuhen gehe ich locker den 10 Meter Flur entlang. Am Gang würde man denken, der Chef ist aber glücklich mit seiner Firma. Glücklich bin ich. Doch wenn ich diese Tür hinter mir schließe ändert sich alles.

Ich nehme mir meinen Hocker und setze mich zu Franzi. Na was haste denn, frage ich locker überspielt. Martin, ich werde hier aufhören. Ich spüre einen Druck im Hals. Es ist erstaunlich wieviel Gedanken mir in kurzer Zeit durch den Kopf rauschen: Ich im Büro alleine; Herbstbepflanzung; wer am Telefon; Angebote schreiben; Termine, Call-Center, was die anderen sagen.

Ist jetzt die Zeit für ein Burnout? Ähm, Franzi das musst du jetzt erstmal erklären.

Der Grund ist simple und verständlich, für mich wie eine Ohrfeige. Der Kloß im Hals bleibt, nur schnürt sich der Hals enger. Ok, ruhig bleiben Martin. Ich habe eine Stelle als Schulsekretärin in meinem Ort angeboten bekommen. Ich denke: „mehr Geld, kurzer Arbeitsweg, eigene Kinder in der Schule. Das macht alles Sinn.“ Ihre Worte klangen fest und entschlossen. Ich kenne Franzi als jemanden, der wichtige Dinge gut überlegt. Meine Stimme zittert. Ich reiße mich zusammen und spreche ruhig und sachlich mit Ihr. Wann? Wie? Bleibst du bis zum letzten Tag? Wir sind uns einig, eigentlich verstehen wir uns wie immer gut. Doch mein Hals schnürt sich enger zu. Als wir alles besprochen haben wird es Zeit sich umzudrehen, denn es bleibt nicht bei der zittrigen Stimme. Ich drehe mich um schließe die Tür, gehe den Flur mit 100 kg Ballast und glasigen Augen entlang.

Ich rede mit Keinem. Ich fahre mit Rene zum Friedhof, er redet die ganze Zeit irgendwas… und ich höre nicht zu. Meine Frau rufe ich zum Sorgen teilen an. Schon mal 50 kg leichter. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. So langsam habe ich gecheckt, dass es nur in eine Richtung geht. Kein Aufgeben! Eine Jetzt-erst-recht-Stimmung macht sich breit. Ich setzte mich aufs Fahrrad, stecke meine AirPods ins Ohr und höre ein Lied das mir hilft. Während ich freihändig nach Hause fliege, lege ich mir eine Playlist auf Spotify und eine Stellenanzeige im Kopf zurecht. Ich sage zu meiner Frau mit strahlenden Augen: „Wir essen jetzt, bringen die Kinder ins Bett und schreiben die beste Stellenanzeige, die man für unsere Firma schreiben kann.“ Indeed, Ebay, Webseite, geile Bilder… das volle Programm. Bähm…

Innerhalb von 5 Tagen haben wir über 40 starke Bewerbungen. Wir nehmen die Anzeige nach kurzer Zeit offline. Zusammen mit Franzi suchen wir die Top 7. Jeden Tag eine Bewerbung. Dann sind wir in einer Woche durch, dann 1 Woche Einarbeiten mit Franzi. Das ist das Ziel.

Meinem Team berichte ich erst davon, als die Bewerbungsgespräche geplant sind. Stimmung ist nicht rosig, doch ich spüre eine Kraft, die mir sagt, ich bin nicht allein. Von 7 Gesprächen sind es 3 Frauen, die super geeignet sind. Die Gespräche führe ich zusammen mit meiner Kollegin Janine.

Vor den ersten Gesprächen frage ich meine Tochter abends im Bett: „Romy, wie erkennt man einen guten Menschen?“ „Papa, du fragst einfach ob sie Haustiere hat.“

Sie hat 2 Hasen, die aussehen wie aufgeplatzten Sofakissen. Schön, dass du da bist Jessi!

Link zur  Spotify-Playliste

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HIER LIEGEN SIE RICHTIG

Es ist Mai 2014, als ich einen Anruf bekomme: „Hallo, ich bin Antje Schneider aus Dresden. Ich arbeite für den MDR und würde gerne eine Dokumentation über den Westfriedhof machen.“ Okay, denke ich. Wenn sie meint, dass es dort etwas Interessantes gibt.

Was mich überrascht, ist, dass Antje ein dreitägiges Praktikum bei uns machen möchte. In diesen drei Tagen formen sich in Antjes Kopf Ideen, die ich noch gar nicht absehen kann.

Pünktlich um 7:00 Uhr am Montag steht sie mit einem Fahrrad vor dem Tor und klingelt. Beim Arbeiten wird alles hinterfragt. Es werden Bodendecker geschnitten und Gräber gepflegt. Warum macht ihr das? Ist das dein Traumberuf, Martin? Kontrolliert dein Opa dich oft? Wie tief liegt der Verstorbene? Noch nie hatte ich so eine interessierte Praktikantin, denke ich.

Plötzlich rennt sie von der Grabstelle weg und spricht eine Omi an, dann noch einen Jogger, ein älteres Pärchen auf einer Parkbank und noch eine junge schwangere Frau. Was ist hier los, denke ich?

Am letzten Tag sitzen wir auf der Treppe der Kapelle. Wir sprechen nicht mehr über einen kleinen Beitrag. Antje plant eine vierteilige Doku-Soap, die zur besten Tageszeit ausgestrahlt werden soll.

Oma und Opa Boese machen mit, ebenso wie meine Frau und meine Kinder. Antje weiß, dass die Opa-Enkel-Kombination perfekt ist. Und Opa sorgt schon bei den ersten Planungen für Lacher, indem er unseren Liegestuhl auf den Hof stellt. Der Stuhl trägt unser Firmenlogo und den Schriftzug „HIER LIEGEN SIE RICHTIG“.

Dieser Schriftzug wird auch gleich zum Namen der Sendung gemacht. 🤗

Der erste Lockdown

April 2020.
Im tiefen Schatten des Lockdowns, als die Welt in Dunkelheit gehüllt war, als die Menschen verunsichert waren, entschlossen wir uns, ein bisschen Licht zu entfachen. Die Ostertage näherten sich und wir wollten unseren Kunden in Magdeburg eine besondere Überraschung bereiten, um ihnen in dieser schwierigen Zeit Trost und Freude zu schenken.

Unsere Mission begann frühmorgens, als wir uns mit Kameras bewaffnet auf den Weg zu den Friedhöfen machten.

Mit großer Sorgfalt und Hingabe machten wir uns daran, die Gräber einzufangen. Jede Grabstelle sollte mit dem frisch gepflanzten Blumenbeet als liebevoll fotografiert. Wir nahmen uns Zeit, um die Atmosphäre der Friedhöfe einzufangen, die von einer Mischung aus Trauer und Frieden erfüllt waren.

Als die Sonne schließlich den Kampf gegen die Wolken gewann, hatten wir unsere Aufgabe erfüllt. Die Bilder waren vollendet, doch wir wollten mehr als nur Fotos versenden. Wir wollten den Menschen das Gefühl geben, dass sie in dieser schweren Zeit nicht allein waren.
Wir verfassten persönliche Anschreiben, die Worte der Hoffnung, des Trostes und der Verbundenheit enthielten. Jedes einzelne Wort wurde sorgfältig gewählt, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass ihre Lieben nicht vergessen waren und dass sie in ihren Gedanken und Herzen weiterlebten.

Mit einem Klick wurden die Anschreiben per E-Post versandt und wir hielten den Atem an. Doch was dann geschah, übertraf all unsere Erwartungen. Uns erreichten Anrufe, E-Mails, Briefe und Karten. Die Menschen waren überwältigt von unserer Geste und dankten uns von ganzem Herzen.
Die Aktion hatte nicht nur Glück und Freude verbreitet, sondern auch Vertrauen gewonnen. Die Menschen fühlten sich gesehen und wussten, dass sie nicht alleine waren. Unsere kleinen Ostergrüße hatten eine große Wirkung erzielt und zeigten, dass selbst in den dunkelsten Zeiten ein Funken Hoffnung entfacht werden kann.

Die Geschichten, die uns erreichten, waren herzerwärmend. Kunden berichteten von Momenten der Stille, der Reflexion und der Verbindung zu ihren verstorbenen Angehörigen. Unsere Geste hatte Erinnerungen geweckt, aber auch den Glauben an eine bessere Zukunft gestärkt.

Wir hatten nicht nur Ostergrüße versendet, sondern auch eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen. Unsere Aktion war zu einem Symbol der Solidarität und des Mitgefühls geworden, das unsere Kunden in Magdeburg und darüber hinaus vereinte. Gemeinsam hatten wir ein Stück Licht in die Dunkelheit gebracht.

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Arrangierte EHE? Kranepohl & Boese

1955 war es eine beschlossene Sache. Verheiratet werden sollten Dorli und Klaus. Nicht wegen der Liebe, sondern aus geschäftlichen Interessen. Große Gärtnerei in Schönebeck heiratet große Gärtnerei in Magdeburg.

Was die Eltern nicht wussten, ist, dass Dorli und Klaus ganz andere Vorstellungen hatten. Nämlich keiner von beiden wollte eine Hochzeit. „Es liege keine Liebe in der Luft“. Jeder der beiden noch jungen Erwachsenen hatte eigene Pläne. Dorli hatte bereits ihren späteren Mann… kennengelernt. Klaus hatte eine andere Frau auch im Auge. Die Eltern waren lange enttäuscht, doch die Zusammenarbeit der Gärtnereien hat bis zur Wende gehalten.

Heute sind die beiden Familien so nah zusammengerückt wie noch nie. Der erfolgreiche Blumenladen in Schönebeck hat entschieden, sich auf die Floristik zu spezialisieren und den friedhofsgärtnerischen Teil an die Gärtnerei Boese abzugeben. In den Wintermonaten haben die Tochter von Dorli Kranepohl und der Enkel von Klaus Boese zusammengesessen und eine Übernahme geplant.

Seit dem 01.01.2022 betreut Martin Cziborra mit seinem Team die über 250 Grabstellen in Schönebeck.

Mehr Informationen zur Grabpflege in Schönebeck finden Sie hier: https://fg-boese.de/was-wir-bieten/grabpflege-dauergrabpflege/

Katze gerettet

Es ist Frühling auf dem Westfriedhof im Feld 8. Wir bepflanzen Gräber mit Stiefmütterchen, Vergissmeinnicht, Bellis und Narzissen. Langersehnte Sonne wärmt meine Wangen, während ich die Pflanze in das Beet setze. Die Vögel zwitschern, doch dann höre ich einen Ton, den ich kenne, aber hier nicht erwarte.

Es ist ein gequältes, ängstlichen Weinen. Ein Miauen einer Katze. Auch meinen Mitarbeitern fällt es auf. Wir lassen alles liegen und folgen dem traurigen Ton. Auf einer 5 Meter hohen Kiefer, ganz in der Nähe, hängt sie zwischen den dichten grünen Nadeln.

Rufe und Zusprüche helfen ihr nicht, sie hat Angst zu Springen. Ganz praktisch gedacht rüttle ich an dem Baum. Ich kann ihn fast mit beiden Händen umschließen, als ich böse Blicke meiner Mitarbeiter einfange.

Ich gehe die Möglichkeiten durch. Eine Kettensäge habe ich im Auto – „Nee, das ist zu hart denke ich.“ Also bleibt nur eins, Klettern. „Janine, Doreen holt mal die große Winterjacke aus dem Auto“, rufe ich. Dann klettere ich auf den naheliegenden Grabstein und denke: „Erika, dass ist für einen guten Zweck.“ Von Erikas Stein auf den ersten Ast, immer höher. Das Mauen wird weniger, weil die Mietze mich für eine Gefahr hält. Ich komme immer höher, es wird ganz schön wackelig. „Na, ob das wohl hält?“ 

Wir gucken uns in die Augen. Ich strecke meinen Arm aus und zerkratze ihn an den Nadeln und toten Ästen. Egal, jetzt muss ich der Mietze helfen. Ich packe sie mit der rechten Hand im Nacken. Ich weiß, dass sie dann still hält, denn genauso werden junge Tiere von der Mutter getragen. 

Mit der linken Hand halte ich mich am Baum fest. Ich drehe mich um.

Janine und Doreen halten die Jacke 3 Meter tiefer gespannt. Ok, ich zähle bis 3. Eins, zwei, drei, ich lasse los. Mietze landet sicher in der Jacke und rennt weg. Es hört sich an, als würde sie meckern, während sie flüchtet. Doch wir wissen, dass wir etwas Gutes getan haben. 

Gemeinsam pflanzen wir weiter mit einem angenehmen Gefühl im Herzen.