Manchmal werden einem Steine in den Weg gelegt.

Fenster auf Kipp, das Bett etwas abgeschrägt, in der Luft liegt ein Hauch von Desinfektion, die Flexüle drückt auf dem Handrücken und auf dem Flur höre ich Schritte und aufmunternde Worte an Patienten. 

„Das wird schon wieder Herr Cziborra“, sagt Schwester Elfi zu mir. „Klar“, sage ich, während ich mir den verbundenen Fuß ansehe. Irgendwo da ist jetzt eine Schraube, die den gebrochenen Knochen zusammen hält. Meine Sinne sind noch etwas benebelt von der Narkose. Die Kniee sind weich, die Arme schlapp, doch insgesamt habe ich ein wohlig warmes Gefühl in mir. Ab jetzt geht es aufwärts. Das war die letzten Tagen nicht so. Vor genau einer Woche bin ich auf dem Ostfriedhof auf einen dämlichen Stein getreten, der seitlich umgekippt ist und mein rechter Fuß gleich hinterher.

Mir war klar, das ist etwas Schlimmes. Gut, Zähne zusammen beißen und den Transporter mit Anhänger in die Firma bringen, dann ab nach Hause. Die Treppen im deprimierenden Vierfüßler-Gang nach oben in die Dusche. Etwas Leichtes angezogen und die Depri-Treppen wieder runter. Meine liebe Frau hat mich zur Notfallaufnahme gefahren. Noch 30 Meter hüpfen und dann saß ich im Rollstuhl. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich darüber mal freue. Jetzt ein Corona-Test… „klar es geht immer noch tiefer in die Nase“. Untersuchungen gingen fix und ich hatte ein gutes Gefühl bei dem Arzt. In jeder freien Minute bin ich „Hätte, Wäre, Wenn-Geschichten“ durchgegangen. Am Tagesende waren mein Fuß und ich der gleichen Meinung: Das bringt nix! Ich glaube an Schicksal, für irgendetwas wird es gut sein.  Positiv denken ist jetzt das Ziel! Alles andere muss weiter laufen! Als Unternehmer ist es, als wäre man in Fesseln gelegt wird.

Ab jetzt müssen alle Mitarbeiter die Arbeiten allein stemmen. Mitarbeiter klingt hier falsch, wenn ich in die motivierten Augen von Janine, Heike, Doreen, Susann, René, Sabrina und Franzi gucke. „Das Team“ klingt besser… Sie halten mir den Rücken frei und arbeiten nach und nach die Aufträge ab. Ich bin stolz auf ALLE! Meine Aufgabe ist es jetzt gesund zu werden, wieder Laufen zu lernen und mit diesen doofen Krücken klar zu kommen. Ja, und das Wichtigste, einen Gärtner (m/w/d) zu finden, der in unser tolles Team passt.

Ich habe einen Fehler gemacht

Im Herbst 2020 bekomme ich einen Anruf der Familie Engel. „Auf unserer Grabstelle wurde jemand beerdigt“, sagte sie. Das kann nicht sein, denke ich. „Frau Engel, bleiben Sie ganz ruhig, ich werde der Sache nachgehen.“ Können wir uns morgen um 10 Uhr auf dem Westfriedhof treffen“?, fragte ich.
Am nächsten Tag erkläre ich, dass bei der Vergabe ein Fehler passiert ist. Herr Engel fragt, ob wir die Familie benachrichtigen können, damit die Urne wieder raus kommt. In Gedanken gehe ich die Situation durch. Ich wurde erst rot, dann blass. Nein, dass geht nicht! Eine andere Lösung muss her. Ich sage: „Frau Engel, ich zeige Ihnen jetzt etwas, dass nur ich weiß.“ Ich habe vor, hier ein besonderes Grabfeld zu erweitern. In dem Bereich kommt eine Gruppe Stauden und hier stelle ich eine Bank auf und daneben ein Blumenbeet. „Wäre das nicht eine bessere Stelle für Ihre Grabstelle?“, frage ich. Ihr fällt ein Stein vom Herzen. Beide sind glücklich und erleichtert. Ich habe dazu gelernt. Jede Grabstelle wird jetzt mir einer Nummer beschriftet, so kann dieser Fehler nicht wieder passieren.

Warum bin ich Unternehmer geworden?

Mein Opa (Herr Boese) und ich saßen 2009 am Tisch von Herrn Berger, auffällig war ein Dynamo Dresden Wimpel an der Wand. Herr Berger ist ein sympathischer ehrlicher Mann. Er hatte einen Satz gesagt, der alles entschieden hat. Damals hat sich die Friedhofsgärtnerei gut entwickelt. Von Jahr zu Jahr wurden es mehr Aufträge, doch die Fläche vom Betriebshof war voll ausgelastet. Es war eine logistische Meisterleistung alle Materialien und Pflanzen zu lagern. Ich hatte bereits meinen Gärtnermeister absolviert und kam ständig mit neuen Ideen und Verbesserungen. Ich sagte: „Wir brauchen mehr Platz.“ Mein Opa sagte: „Wir brauchen ein neues Grundstück.“ Also hat sich die Möglichkeit ergeben eins zu kaufen. Garagen, Verkaufsraum, Gewächshaus, Sozialräume waren schon in unseren Köpfen geplant. Ich schreibe bewusst in „unseren Köpfen“, denn wir sind uns sehr ähnlich. Also machten wir einen Termin bei der Bank. Wir sitzen bei unserem Berater. Herr Berger sächselt. Schön denke ich, dass passt gut zu seinem Fußball-Geschmack. Wir schildern unsere Ideen. Er sagt: „Herr Boese, Sie bekommen in ihrem Alter keinen guten Kredit, Herr Cziborra ist dabei eine Familie zu Gründen und wird kaum Beides stemmen. Machen sie aus ihrem Enkel einen Unternehmer und begleiten sie Ihn noch ein paar Jahre“.

Krach auf dem Friedhof

Ganz dumpf in den Ohren höre ich meine Heckenschere, die vor mir hin und her gleitet. Nach rechts und links fliegen abgeschnittene Triebe. Ach, das macht Spaß denke ich mir, während ich den Buchsbaum rund wie einen schönen Po schneide.
Als ich zum nächsten Grab gehe, sehe ich vor mir einen jungen Mann mit einer Gitarre sitzen. Ich gucke nach links und sehe eine Kollegin mit einem Laubsauger. Ich gucke nach rechts und sehe einen Kollegen mit einer Heckenschere. Dann gucke ich den Musiker an, nehme meine Ohrstöpsel aus den Ohren. Neben dem Krach höre ich eine Melodie der Beatles. Hä? Es ist so laut hier. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass wir ihn stören und frage.
Er sagt: „Ich bin genau deshalb hier, weil es so laut ist.“ Ich brauche Ablenkung, um zu lernen mich auf die Musik zu konzentrieren.“
Gott sei Dank, denke ich mir. Also schneiden wir mit Vollgas weiter und schaffen den Friedhof noch fertig zu schneiden.

Wir lieben Eier

Am 26. November sitzen 7 Gärtner/innen mit grünen Latzhosen in dem Besprechungsraum. Nachdem die Arbeit verteilt wurde, kommt die entscheidende wöchentliche Frage: Und die Eier? Hierzu muss man wissen, dass Donnerstag Eiertag ist. Jeder Mitarbeiter ist mal dran mit Kochen. Folgende Voraussetzung muss ein Ei haben um mit der Note 1 bewertet zu werden. Bio, braun, handwarm, weich (nicht zu weich, eher so wie flüssiger Kerzenwachs), es darf nicht riechen und es muss an einem Donnerstag da sein! Ist es nicht da gibt es eine 6 und es kommen den ganzen Tag Bemerkungen wie „och ein Ei wäre jetzt nicht schlecht“ ; eine Stulle und dazu noch ein Ei das wäre was“. Und das muss ich dann als Chef ertragen und mit der Note 6 Feierabend machen.

Schnee im Winter – mit ein bisschen Sommer

Kennt ihr das Geräusch durch den Schnee zu laufen? Natürlich! Kennt ihr die Sehnsucht bei einem sonnigen und warmen Spaziergang nach einer Abkühlung? Klar! Und genau das hat Heike mitten im Winter bekommen. Am 21. Februar 2021 sind wir auf dem Ottersleber Friedhof. Bei sonnigen 21 Grad stampfen wir kurzärmlig durch den Schnee. Es sind Schneereste, doch in geschützten Lagen sind es beträchtliche Mengen. Heike entfernt den Winterschmuck von den Gräbern. Beim Abräumen der Tanne und Gestecke kommen wir ganz schön ins Schwitzen. Wir kommen uns vor, als wäre es Sommer. Das hatten wir auch noch nie, dass wir uns im T-Shirt, im Februar nach einer kurzen Hose sehnen. Während sie diesen Satz sagt, fliegt bereits ein schön geformter weißer Schneeball genau auf ihren Po. Ich sage: „Weißt du was wir auch noch nie hatten? Eine Schneeballschlacht bei 21 Grad.“

Herzschmerz

Mein bester Freund kam ganz aufgelöst zu mir und sagte: „Bei meinem Arzt ist die Anmeldung gestorben.“ Ich sage: „Wirklich?“ Was soll man da auch sagen? Später habe ich erfahren, dass Nicole zur selben Zeit schwanger war wie meine Frau. Alle Mitarbeiter der Arztpraxis sammelten Geld für den Vater, der jetzt mit einem 5 jährigen Sohn und einem neugeborenen Mädchen alleine war. Ich habe beschlossen zu helfen. Mit Geld? Nein, das bekommen sie von Vielen. Ich helfe ihnen bei einer Sache, an die kein 36-jähriger Mann je gedacht hätte. Ich möchten die Grabstelle würdevoll für seine Frau gestalten, ohne etwas dafür zu verlangen. Also habe ich den Bestatter angerufen und unsere Hilfe angeboten. Die Großeltern haben dankbar zurückgerufen. Anschließend habe ich für Nicole mit Tränen in den Augen liebevoll die Grabstelle bepflanzt. Ich war alleine, das war auch gut so. Später im Kreißsaal als ich meine kleine Romy in den Armen hatte, habe ich meine Frau angesehen und gebetet das nichts passiert und ich niemals alleine sein werde.