Eine Begegnung, die Slavas Leben verändert
Mit gesenktem Kopf verlässt Slava die Anmeldung des Sozialamts, den Blick nach unten gerichtet. Sie fühlt sich niedergeschlagen. Sie hatte gehofft, die Beamtin könnte ihr eine offene Stelle als Gärtnerin anbieten – am liebsten eine Ausbildung. Seit zwei Jahren ist sie hier und möchte endlich arbeiten. Doch immer werden ihr Steine in den Weg gelegt, oft ist es die Sprachbarriere. Bis zu diesem Tag. Im Wartezimmer wird sie von einer älteren Dame mit Hut angesprochen. Sie flüstert: „Können Sie kurz warten? Ich habe da vielleicht etwas für Sie.“ Die ältere Dame geht ins Büro zur Beamtin, sie hat wohl auch ein Anliegen. Slava wartet draußen, wo sie die frische Luft und die Natur genießen kann. Das trostlose Wartezimmer mit zehn abgenutzten Sitzplätzen, einer ungeliebten Zimmerpflanze und Broschüren, die selbst ohne Migrationshintergrund schwer zu lesen wären, lässt sie hinter sich.
Dann klingelt mein Handy. Ich stehe auf dem Friedhof und pflanze gerade Begonien. Schnell ziehe ich die Handschuhe aus und gehe ans Telefon. Oma ruft an. Hoffentlich nichts Schlimmes. „Martin? Ich sitze hier beim Sozialamt im Wartebereich, neben mir eine junge Frau, die Arbeit sucht.“ Ich überlege kurz. Wenn meine Oma mich deswegen anruft, wird es keine Schlaftablette sein wie all die anderen Bewerber. Sie wird pfiffig sein, einen schnellen Schritt haben, keine Hackenschuhe tragen, keine gegelten Fingernägel. Sie wird arbeiten wollen. Oma hat einen Blick für sowas. Mit ihren 84 Jahren hat sie selbst noch die Zeiten erlebt, in denen nichts geschenkt wurde. Sie hat den Beruf der Gärtnerin gelernt, war bei Wind und Wetter draußen. Eine Frau, die es nicht verstehen kann, dass einige Jugendliche nur auf ihre Handys starren, sich so schlecht benehmen, wie sie sich kleiden, und „keinen Bock“ haben. „Oma? Meinst du, sie ist Gärtnerin?“ „Nein, sie kommt aus der Ukraine, spricht Deutsch und möchte unbedingt arbeiten.“ „Das mit dem Arbeiten“, denke ich, „habe ich schon oft gehört.“ Aber wenn Oma das sagt… Ich schalte schnell und sage: „Klar, Freitag, 10 Uhr, bei uns im Büro. Wenn sie clever ist, findet sie die Adresse allein. Sie soll nach der Friedhofsgärtnerei Boese suchen.“
Freitag sitzen wir zusammen. Mir gegenüber sitzt eine 28-jährige Frau, die mit dem Fahrrad gekommen ist. Pünktlich, selbstbewusst, mit Akzent. Mein erster Gedanke: Sie hat Arme, die definitiv schon körperlich gearbeitet haben. Eins steht fest, diese Frau hat schon viel erlebt. Höhen und Tiefen. Das Schlimmste wohl der Krieg in der Ukraine, der ihre Familie und Heimat zerstört hat. „So kann man sich täuschen“, denke ich, als sie erzählt, dass sie in der Ukraine Kindergärtnerin war. Ich hatte sie eher in einem handwerklichen Beruf gesehen. Später war sie Bürokauffrau, dann etwas mit IT. Sie ist in einer Kleinstadt groß geworden, auf einem Grundstück mit Tieren und Pflanzen. Sie hasste es, im Büro zu sitzen – „Ich muss draußen arbeiten, in Natur!“, sagt sie entschlossen. Dann geht alles schnell: Probearbeit, Praktikum, dann Festanstellung. Zwei Monate später stellt sie die Frage: „Darf ich hier eine Ausbildung machen?“ Insgeheim hatte ich es gehofft, dass es so kommen würde. Tatsächlich suchten wir einen Lehrling – etwas älter als gedacht, aber mit viel Lebenserfahrung und guten Fähigkeiten. So wird Slava jetzt Friedhofsgärtnerin – und ist eine von nur zwei Auszubildenden in ganz Sachsen-Anhalt, die diesen tollen Beruf lernen.
Ein Link zu einen Interview im MDR finden Sie hier: https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-879178.html