Ruhe in Frieden – anders als erwartet
Es ist der Magdeburger Ostfriedhof für den ich mich entschieden habe. Entschieden klingt nicht passend, denn hätte ich die Wahl, wäre ich noch ein paar Jahre mehr mit meinem Mann um die Welt gereist. Doch nun ist es der Ostfriedhof, den ich Tag für Tag für mich alleine entdecke. Bei der Auswahl der Grabstelle habe ich mich für ein Einzelgrab entschieden. Es ist ein schöner sonniger Standort. Ich denke mir “das passt“. Wir liebten die Sonne. Um uns herum Rasen. Man nennt es „Grabstätte in besonderer Lage.“ Das klingt, als hätten wir einen besonderen Stand in der Gesellschaft. Nein, für mich war ER etwas Besonderes, meine große Liebe.
Die Zeit zwischen Tod und Beerdigung war unwirklich, als wäre ich nicht ich und die Zeit eine andere. Etwas befreiend war der Tag der Beerdigung, aber er war schwer und endgültig. Jetzt liegt er da. Wir sind sichtbar getrennt und irgendwie wieder verbunden. Der Weg zum Grab fällt mir noch immer schwer. Ich fühle mich alleine. Ja hier und da sieht man einen Friedhofsbesucher mit der gleichen Trauer im Gesicht. Manche grüßen, manche nicht. Manche kommen täglich, manche habe ich noch nie gesehen. Ein paar treffen sich regelmäßig. Ich habe gelernt, ein Friedhof ist auch Begegnungsstätte. Ich bin noch nicht so weit.
Die ersten Tage überraschten mich die abgefressenen Blüten. Wer macht so etwas? Waren sie schon verblüht? War es der Gärtner? Ich bringe neue Blumen. Und wieder abgefressen. Ich weine. Ich gehe über den Friedhof und entdecke weitere Spuren. Blumen die abgefressen und rausgerissen sind. Als ich es gesehen habe, konnte ich es kaum glauben. Ein sonderbar schönes Bild auf dem Ostfriedhof. Vor den Sträuchern auf grünem Rasen war ein Reh. Als würde es hier hingehören. Ganz selbstverständlich steht es da.
Ein paar Tage später wird mir klar, dass dieses wunderschöne Tier der Übeltäter ist. Der Gärtner bestätigt mir meine Vermutung. Einer Mitarbeiterin der Friedhofsverwaltung melde ich diesen Vorfall. Ich bin erstaunt, denn es ist bekannt und wird geduldet. Es wird geduldet, dass es Schaden macht? Ok, es ist Frühling und vielleicht findet es jetzt Besseres als meine Rosen. Ich treffe den Gärtner. In einem Gespräch mit ihm, wo es um die Bepflanzung geht, ist es wieder da. „Da, es wartet schon auf die Frühlingsbepflanzung“ scherzt er. Und tatsächlich ein paar Stunden nach der Bepflanzung ist keine Blüte mehr an meinem Beet. Die Verwaltungsmitarbeiterin tröstet mich und streut Hornspäne. Hilft das? Ja, für ganze 2 Tage. Das Spiel wird mehrmals wiederholt. Der Gärtner pflanzt nach, wieder alles weg. Geld nimmt er nicht dafür. Noch nicht denke ich mir.
Unser Hochzeitstag rückt näher und mit ihm eine Unruhe. Ich möchte etwas schmücken, doch für wie lange. Ich frage die nette Floristin im Blumenladen. Zusammen finden wir etwas. Etwas für das Reh. Ich bin verzweifelt und fühle mich wieder alleine, so sehr. Die Friedhofsverwaltung nimmt mich nicht ernst. Habe ich nicht für meinen Ort der Trauer Gebühren bezahlt? Darf ich jetzt für die nächsten 20 Jahre keine Blumen zum Grab bringen? Wer ist für das Reh zuständig? Hornspäne ist keine Lösung und ein anderes Mittel wird es nur verzögern. Ich bin ein Beschützer der Natur, doch hier sollte die Stadt Magdeburg handeln und eine Lösung finden. Damit meine Stimme gehört wird, werde ich Unterschriften sammeln. Im Blumenladen, beim Gärtner, in meinem Seniorenclub und bei anderen Angehörigen, denn ich bin nicht alleine. Ich habe nur den einen Wunsch – Ruhe zu finden.