Erinnerung bewahren Teil 2

Ich stehe an einem sommerlichen Tag mit Herrn Dr. Volker Kielstein an dem Grab seiner Frau. Wir plaudern etwas über die Grabgestaltung. Dann kommen wir zum eigentlichen Grund unseres Treffens. Ein Team aus Steinmetz, Webdesigner, Autorin und mir haben alles perfekt vorbereitet. Wir setzen in den Bodendecker einen kleinen Stein. Auf einer Fläche von 10×10 cm befindet sich ein QR-Code. Ich zücke mein Handy, öffne die Foto-App und scanne locker aus der Hüfte den QR-Code.

Ich bin etwas aufgeregt, da ich nicht weiß, wie Herr Dr. Kielstein reagieren wird. Es wird auf jeden Fall emotional… und es geht schnell. QR heißt quick response – rasche Antwort also.

Eine liebevoll gestaltete Web-Seite öffnet sich auf meinem Handybildschirm. Prof. Rita Kielstein, 8. NOVEMBER 1941 – 27. JANUAR 2018 sind die ersten Worte, die Herr Dr. Kielstein liest. Stille. „Das sieht ja schön aus“, sagt er. Wir scrollen langsam nach unten und entdecken ein junges Mädchen, ein Zitat, Bilder aus den Studienzeiten, aus gemeinsamen Urlauben. Dann beginnt Herr Dr. Kielstein stolz zu erzählen. Ich sehe ihn dabei an und erkenne ein Glitzern in seinen Augen. Er ist glücklich, ein gemeinsames Leben teilen zu können.

Ich bin erleichtert und freue mich schon auf die Veröffentlichung im MDR. Denn während der  gesamten Arbeit hinter den Kulissen und auch während des Treffens an der Grabstelle hat uns ein Filmteam begleitet. Am 4. Oktober 2022 ist es soweit! 

Ich finde, digitale Trauerkultur ist ein Zukunftsthema. Der Friedhof braucht lebendige Geschichten gegen das Vergessen. Ich würde mich freuen, wenn Menschen mutig sind und diese neuen Möglichkeiten nutzen, um ihre Geschichte und die ihrer Verstorbenen zu erzählen. 

Zum Film in der ARD Mediathek den Link klicken: Auf Leben und Tod – Der Westfriedhof Magdeburg

Mehr Informationen gibt es hier: Erinnerungen bewahren

Erinnerung bewahren Teil 1

Es ist der erste Lockdown, der vielen Magdeburgern Angst macht und gleichzeitig Langeweile verbreitet. Viele werden in die Kurzarbeit geschickt, andere sitzen im Homeoffice. Manche wollen einfach nur raus aus den beklemmenden 4 Wänden. Ich gehöre dazu. Mit meiner Frau gehe ich oft spazieren. Klar, als Friedhofsgärtner natürlich über den Friedhof. Es ist der Westfriedhof, der die meisten Geschichten erzählen kann. Außerdem muss ich mir hier sowieso noch Grabstellen ansehen, denke ich. 

An diesem Frühlingstag singen die Vögel, der Wasserhahn plätschert in das Becken, überall blüht es und das frische Laub an den Bäumen lasst plötzlich alles so normal erscheinen. Auf dem Friedhof kann man gut abschalten und sogar ein bisschen vergessen. An Inzidenzen, Krankenhausüberlastungen und Corona-Zahlen ist hier nicht zu denken.

Meine Frau schaut sich die Grabsteine an. Ich gucke mir die Bepflanzungen der Gärtner an. „Sieh mal wie alt der hier geworden ist“. „Aha…“, sag ich, während ich hier und da noch ein Unkraut herausziehe. Als Gärtner achte ich eher selten auf Grabnamen und Daten. Ich habe nur Augen für Blumen. Franzi fragt weiter. „Guck mal diesen Grabstein an. Der Name kommt mir bekannt vor“. Wir stehen vor einem 2,5 Meter hohen Grabstein mit 4 Säulen. In der Mitte steht Fabrikbesitzer Blume. „Was der wohl produziert hat?“ fragt sie mich. Ich nehme das Handy und frage Google. Nix. 

„Eigentlich schade, dass Menschen so vergessen werden“, sagt meine Frau. Stimmt. Es wäre doch schön, wenn man zu jeder Grabstelle immer eine Geschichte lesen könnte? Franzi: „Vielleicht sogar mit einem Bild. So wie ein kurzer Lebenslauf. Als lebendige Erinnerung.“ Ich: „Ja, so dass die Geschichte für immer festgeschrieben ist!“ Franzi: „Auf dem Grabstein ist kein Platz und ein Schild aufbauen wäre auch irgendwie unpassend.“ Interessant, denke ich.

2 Jahre später werde ich auf die passende Idee kommen. Das ist dann die Fortsetzung meiner Geschichte. Sie ist sogar Teil eines Films geworden. Am 04.10.2022 wird der Film im MDR-FERNSEHEN ausgestrahlt. 

Fortsetzung Teil 2 hier klicken.